23 Nov Wie beginnt gutes Leben
Es wird immer härter! Die Einschnitte in unser gewohntes, bisher sehr komfortables und sicheres Leben hören nicht auf. Die Nerven liegen blank. „Geht Weihnachten noch, oder erleben wir wieder ähnliches wie Ostern?“ Keiner weiß es. Die Planungssicherheit ist längst verschwunden.
Ich höre so viele Meinungen, Ratschläge, Wutreden und erlebe viele Aktionen, über deren Sinn oder Unsinn heftig gestritten wird. Es ist doch klar, dass jeder seinen „Besitzstand“ zu verteidigen sucht. Es ist doch einsichtig, dass jede Gruppe nur um ihre eigenen Interessen und Überzeugungen kreist. Oder?
Es wundert mich nicht, dass die Unsicherheit um sich greift. Wem kann ich noch vertrauen? Um mit Pilatus zu sprechen: „Was ist Wahrheit?“ Über diese Frage wird, seid sie gestellt ist, trefflich und teuflisch gestritten. Auch jetzt.
Wir alle haben in den letzten Jahrzehnten vielfältig gelernt, dass Vertrauen missbraucht wird. Fangen wir nur mal mit der Immobilienblase und den Bankenskandalen an. Gehen wir übergangslos zu den Abgaslügen mancher Automobilhersteller, um, sehr verkürzt, bei den „Fake-News“ der letzten 4 Jahre zu landen. Sie, die angeblich alternativen Fakten, führen uns jetzt vor Augen, wie man Gesellschaften polarisieren und spalten kann. Und was an Lüge, Vertuschung und Böswilligkeit in der Welt „draußen“ geschieht, passiert ganz offensichtlich in allen Zirkeln von säkularen und religiösen „Glaubens“- Gemeinschaften. Es ist halt so. Wo bleibt das Gute?
Und was hilft uns das Jammern? Was hilft uns der egozentrische Protest? Was helfen all die verrücktesten Verschwörungstheorien, die eine vielschichtige Lage vergeblich auf den Punkt bringen sollten? Bringen die das Vertrauen, das gute Leben zurück?
Erich Fried, ein österreichischer Lyriker, stellt in seinem Gedicht „Was es ist“ immer wieder fest: Gleich ob die Vernunft den Unsinn ausruft, die Berechnung mit dem Unglück rechnet, der Schmerz die Angst befürchtet und die Erfahrung die Unmöglichkeit erinnert, was uns hilft ist, an der Liebe festzuhalten.
Eh klar! Musste ja kommen! Liebe: kaum ein Wort, mit dem mehr Schindluder getrieben wurde als mit diesem. Ein gebrauchter und missbrauchter Begriff.
Und dennoch ist es das zentrale Wort, der Kernpunkt meines, unseres christlichen Glaubens. Es ist auch das Zentrum vieler anderer Menschen, die religiös bezogen sind. Und das Wort Liebe ist eng verbunden mit dem anderen Begriff, nämlich der Barmherzigkeit. Und in diesen beiden Begriffen steckt die gesamte menschliche und vor allem göttliche Weisheit. Diese ist uns seit Jahrtausenden bekannt – nur herzlich wenig geübt.
Was sollte uns hindern in kleinen Schritten liebevolles Miteinander immer wieder zu üben?
Wie wäre es, wenn wir heute wieder anfangen würden, uns selbst liebevoll zu begegnen? Nur kurz Zeit nehmen, um sich im Spiegel freundlich zu zulächeln. Der liebevolle Blick auf uns selbst, so haben kluge Leute immer wieder festgestellt, hat eine verändernde Kraft.
Besonders mutige Mitmenschen könnten das auch auf andere anwenden. Wie wäre es zum Beispiel, wir würden unserem Partner, unserer Partnerin, unseren Kindern nur für einen Augenblick einen liebevollen Blick schenken? Was würde wohl geschehen?
Im morgigen Evangelium werden wir aufgefordert, die Welt durch Liebe und Barmherzigkeit in kleinen Schritten zu gestalten. Dort, wo aufeinander zu gegangen wird, dort wo ein freundliches Lächeln regieren kann, dort verändern sich Menschen und damit der gesamte Kosmos. Dort können dann gelassen, aber nicht weniger konsequent, die Aufgaben, die uns das Leben stellt, gemeistert werden. Die Krise, die wir erleben, ist bitter. Sie ist aber auch die Chance, um uns auf das Wesentliche zu besinnen. Auf das, was wirklich wichtig ist. Ein liebevolles Für- und Miteinander.
Dieter Schwibach, Pastoralreferent
Zum Christkönigsonntag 2020